Im Leipziger Stadtteil Plagwitz gibt es weniger Sehenswürdigkeiten, als alte Industriebauten. Dennoch gibt es davon recht viele und ebenso auch welche, wie die Buntgarnwerke, die längst saniert und modernisiert wurden. In keinem anderen Viertel der Stadt zeigt sich die Industrialisierung der Stadt wohl so wie in diesem. Auch in der Wachsmuthstraße 10 befindet sich solch ein Industriebau, an den auch ich mich vor der Sanierung noch sehr gut erinnern kann. Denn in den 90igern war ein großes und bekanntes Geschäft für Computerspiele darin beheimatet, welches ich oft besuchte. Doch das Gebäude kann eine viel längere Geschichte aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts erzählen, als es als Fabrikhalle erbaut und dann der Standort der Telefon- und Telegrafenwerke von Stöcker & Co. wurde.

Telephon- und Telegraphenwerke Stöcker & Co. in Plagwitz vor der Sanierung
Telephon- und Telegraphenwerke Stöcker & Co. in Plagwitz vor der Sanierung – Bildquelle. https://docplayer.org/docs-images/71/65832432/images/4-0.jpg

Der Leipziger Chemiker und Fabrikant Carl Hermann Voigt stellte im Mai des Jahres 1900 den Antrag für ein mehrgeschossiges Fabrikgebäude mit einem Dampfschornstein sowie Seitengebäuden eben auf diesem Grundstück an der Wachsmuthstraße. Mit seinem „Voigtschen Patent“ wollte er den Herstellungsprozess von Chromopapier und Chromkarton verbessern. Die Genehmigung durch das Baupolizeiamt stand bereits im Juni selben Jahres im Haus. Die Planungsarbeiten wurden durch den Baumeister Eduard Steyer durchgeführt und schon um 1902 war die Fabrik fertiggestellt und es entstand ein gelber Klinkerbau. Noch im selben Jahr ging das Grundstück im November samt des Fabrikgebäudes per Zwangsvollstreckung an die beiden Zimmer- und Baumeister Bastänier und Schileder.

Ein halbes Jahr später ging Grundstück und Fabrik an den Berliner Fabrikanten Karl Hermann Otto Vahl, welcher Besitzer der Firma Stöcker & Co. war. In dieser wurden schon vorher in der Ernst-Mey-Straße Telefon- und Telegrafenwerke hergestellt, welche zur damaligen Zeit zu einem aufstrebenden Industriezweig zählten. Produziert wurden in den darauffolgenden Jahren neben Fernsprechanlagen, Telefonen und Kopfhörern auch Messgeräte. Gegen 1903 wurden 2 Lastenaufzüge für den Handbetrieb durch das damalige Unternehmen Unruh & Liebig AG eingebaut. Die produzierten Feuermelder sowie Messeinrichtungen des Unternehmens waren in aller Munde und wurden überall eingesetzt. Im Februar 1917 übertrug Otto Wahl das Unternehmen Stöcker & Co. an seinen Sohn Franz Werner Ernst Otto Wahl, welcher jenes in den 20iger Jahren zu den besten dieser Branche machte.

ehemalige Fabrikhalle der Telefon- und Telegrafenwerke Stöcker & Co. in der Plagwitzer Wachsmuthstraße im Juni 2020
ehemalige Fabrikhalle der Telefon- und Telegrafenwerke Stöcker & Co in der Plagwitzer Wachsmuthstraße im Juni 2020

Leider engangierte sich das Unternehmen auch für die Rüstungsindustrie und produzierte verschiedene Feldfernsprecher. Durch diesen Aspekt wurde die Produktionsstätte kurz nach dem 2.ten Weltkrieg enteignet und unter russische Verwaltung gestellt. 1954 wurde daraus ein Volkseigener Betrieb unter dem Namen VEB Funkmechanik Leipzig, welche 1967 in das VEB Gerätewerk integriert wurde. Ab 1970 zählte der Standort zum RFT Kombinat Fernmeldewerk und wurde kurz vor der Wende 1987 dem RFT Nachrichtenelektronik angegliedert. Nach der politischen Wende wurde das Gebäude von verschiedenen Einrichtungen genutzt, bis es zuletzt leer stand. Ab 2017 stand die Sanierung sowie Renovierung des ehemaligen Industriebaus der Telegrafenwerke an, bei der Wohnungen entstanden und die Immobilie als Plagwitzer Lofts bekannt machten.

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